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Neugierig, ob am Ort des Geschehens mehr zu erfahren wäre, mache ich mich an einem heissen Morgen im August von Urbino aus auf den Weg nach Talamello. Auf kurvenreichen Landsträsschen geht es durch die rauhe Schönheit des nördlichen Montefeltro dem Monte Carpegna zu, dahinter öffnet sich der Blick auf das breite, sanfte Tal der Marecchia; auf der gegenüberliegenden Talseite, wie an die Felsen geklammert, Talamello. Wie eine schläfrige Katze liegt die weite Piazza in der Mittagshitze. Durch geschlossene Fensterläden dringen Fetzen von Tischgesprächen, eine Radiostimme; irgendwo handiert jemand mit Töpfen. “Che peccato”, die mütterliche Sekretärin im Rathaus schlägt bedauernd die Hände zusammen. Wäre ich vor zwei Tagen gekommen, hätte ich sehen können, wie sie den Käse in die Gruben schichten, sogar das Fernsehen sei diesmal dabei gewesen. Verwundert schüttelt sie den braun gelockten Kopf. Und wie um mich für die verpasste Gelegenheit zu entschädigen, erzählt sie, in einer Mischung aus Verlegenheit und Stolz, was sie über den Geissenkäse weiss. Wie man ihn isst, was die Frauen damit in der Küche machen, möchte ich wissen. Auf diesem Gebiet ist sie Expertin, mit einem nachsichtigen Lächeln über mein Unwissen klärt sie mich auf: Als Kind habe sie den Käse in kleinen Brocken mit Honig oder den späten Feigen gegessen, ihre Mutter habe an Festtagen die Füllung der Cappelletti mit dem “fossa” verfeinert, auch in Ravioli schmecke er gut, im Teig der Passattelli, fein gehobelt über die Tagliatelle, wie Trüffel.

In der Bar trifft sich eine Handvoll junger Leute zu einer Partie Briscola. Unter der zwei grossen Platanen, die den herrlichen Panoramablick hinüber nach S. Leo beschatten, hocken drei Männer rittlings auf Stühlen und hören der Stille zu. Einzig unter der Erde, in den Gruben, scheint es in diesem Dorf Bewegung zu geben: Dort hat der Käse, vor wenigen Tagen eingelagert, seinen geheimnissvollen osmotisch-enzymatischen Verwandlungsprozess begonnen. Nichts deutet von oben auf das Vorhandensein der Gruben; mit Steinplatten und Zement hermetisch abgedichtet, sind in der Pavimentierung der Gässchen für einen Ortsfremden nicht auszumachen. Vor zehn Jahren erst sind die unterirdischen Tuffsteinhöhlen wieder zur Lagerung von Käse freigegeben worden. Ihr Eigentümer ist die Gemeinde, städtische angestellte sind mit der Pflege und Wartung betraut. Der jährliche Ritus des “infossamento”, der “Grubenlegung”, ist ein öffentlicher Akt, wie auch die Öffnung der Gruben, die mit der “Sagra dell’Ambra” an den drei ersten Sonntagen im November gebührend gefeiert wird. – Die unsichtbaren Gruben sind das geheime Wahrzeichen des kleinen Dorfes; wie schon vor fünfhundert Jahren sieht es im Bewusstsein seiner unterirdischen Verschwörung dem Lauf der Dinge gelassen entgegen. Nicht viel, sondern guter, sehr guter Käse, so lautet die Devise. Wenn es von dem Guten nur wenig gibt, ist das Wenige besonders begehrt. Gerade die Qualitäten, die einmal als allzu hausbacken in Ungnade gefallen waren, stehen jetzt noch im Ansehen: naturbelassene Rohstoffe aus örtlicher Erzeugung, Verarbeitung in kleinen Familienbetrieben nach überlieferten Verfahren, rigide Einhaltung von Vegetations- und Reifephasen. Die jährliche Menge des “fossa” wird vom Fassungsvermögen der Gruben bestimmt: ungefähr hundert Zentner Käse können das Markenzeichen ambra di Talamello tragen. Und hier wittern Feinschmecker mit Geschäftssinn ihre Chance. Der mengenmässig begrenzte Ambra könnte, mit Werbestrategien geschickt unterstützt, zum Käse für die “happy few” avancieren. Den Weg zum kulinarischen Statussymbol hat er bereits eingeschlagen. Verkauft wird er in ausgewiesenen Fachgeschäften, je weiter von seinem Herkunftsort entfernt, desto teurer. Es fehlt ihn nicht an Liebhabern und nicht an Imitatoren.

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