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Starrköpfig und mit sicherem Instinkt wiederholten die Bauern und Schäfer über einige hundert Jahre dasselbe Ritual: Anfang August war es Zeit, die aus der gehaltvollen Milch vom Frühsommer hergestellten Käseleibe sorgfältig in Leinensäcke zu verpacken und sie in die mit Stroh ausgepolsterten Tuffsteingruben einzulagern. Begleitet von Scharen barfüssiger kinder und Frauen im Sonntagsrock sollen ganzen Pferdekarren voll Käse aus dem umliegenden Dörfern nach Talamello gebracht worden sein. Der Tag der Grubenlegung war ein Festtag. Für die Lagerung musste an die Besitzer der Gruben, deren grösste hundert Zentner Käse fasste, ein der Menge entsprechender Pachtzins entrichtet werden. Volksfest war auch zu Allerheiligen, spätestens aber zum Fest der Heiligen Catarina am 25. November, wenn die Gruben geöffnet und der Käse in seiner veredelten Gestalt wieder ans Tageslicht befordert wurde. – Generationen von Kindern aus dem Marecchiatal sind gross geworden mit dem Geschmack des “fossa” auf der Zunge, der in der heimischen Küche souverän die Stelle des Parmigiano vertrat. Sie konnten ihn gemocht haben oder nicht, die Sonn- und Feiertage schmeckten jedenfalls seit ihrer Kindheit nach “fossa”. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, wie die Kinder der nachgeborenen Wohlstandsgeneration von den herkömmlichen “hausgemachten”, sattsam bekannten Erzeugnissen nicht mehr viel wissen wollten; wie die Geschmacksvielfalt der zunehmend sich industrialisierenden Lebensmittelproduktion überheblich gegen die Eintönigkeit der traditionell verfügbaren und gebräuchlichen Nahrungsmittel auftrumpfte. Wie schliesslich bewährte bäuerliche Traditionen dem radikalen Wandel von der Agrar- zur modernen Industriegesellschaft zum Opfer fielen. Damals hat die mit Kühl- und Gefrierschränken Einzug haltende Modernisierung diese jahrhundertealte natürliche Lagerungsstätte mehr und mehr verdrängt. Und nie hat der heimische Käse mehr nach Arbeit und Entbehrung geschmeckt als zu dieser Zeit. Der “arme” Reichtum von einst galt nicht mehr.

Aber Aschenputtel hatte es nicht eilig. Geduldig ertrug es lange Zeit sein demütiges Leben am Rande, bis eines Tages der verlorene Schuh den Prinzen zu ihr führt. Der moderne Supermarkt kennt keine Jahreszeiten. Sommer, Winter, Aussaat und Ernte, Sonnenlage oder Schatten, selbst Regen oder Dürre sind in der weltweiten Vernetzung der Lebensmittelindustrie nur noch vernachlässigbare Grössen. Jeder Geschmack, jedes Gelüste kann zu jeder Zeit überall befriedigt werden. Aber zwischen Gefriertruhen und Regalen voll zeitsparender Fertiggerichte regte sich plötzlich mit Sehnsucht die erinnerung an diesen Einen, echten Geschmack aus der Kinderzeit. So kam der lange stiefmütterlich behandelte, schon fast vergessene Käse schliesslich zu Ehren.

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