.
Eglisau ist, was man ein idyllisches Städtchen nennt – mit seinen bald dreitausend Einwohnern gross genug, sich nicht mehr die Bezeichnung Dorf gefallen lassen zu müssen. Wie andere Landstädchen in der Umgebung von Zürich ist es in der Hochkonjuktur rasch gewachsen, doch von Bausünden überraschend frei. An schönen Wochenenden drängen sich die Ausflügler an der Schiffsanlegestelle, um die Fahrt auf den Rhein zu geniessen oder Rebberg hochzusteigen, von wo man Ausblick hat auf alte Riegelhäuser und die reformierte Kirche, die unmittelbar am Fluss liegt: ein weisser wehrhafter Bau mit einem efeuumrankten Turm und einer Sonnenuhr zum Wasser hin, unter deren Zifferblatt das Trostwort steht: ?Schwere Tage sind wie ein flüchtiger Schatten.?

Vielleicht war es so gewesen bis zu einem Frühlingssonntag 1974, als ein frischgebackener Theologe hier seine erste Predigt hielt. Sie war feurig und machte solchen Eindruck, dass die Eglisauer, als es ihren Pfarrer an neue Ufer zog, Armin Sierszyn zu ihrem Hirten wählten. Er ging ?von null auf hundert?. Die achtundsechziger Revolte war noch nicht verebbt, und der junge Protestant verstand es, den Schwung zu nutzen und die Dorfjugend zu begeistern für den einzig waren Revolutionär, den die Welt gekannt hatte, Jesus Christus. Er kaufte einen alten Bus, organisierte Lager und erklärte seine Garage seine zum Jugendhaus, wo die Jugendlichen nächtelang auf Hockern, die aus Harassen (Mineralquelle Eglisau) und Teppichresten (Stamm AG, Eglisau) zimmerten, über die welt und über Gott diskutierten, von dessen Geist sie ergriffen schienen.

Der Drive des neuen Predigers behagte nicht allen. Turnverein und Blasmusik fühlten sich konkurrenziert; Sierszyn, wurde gemunkelt, verbiete seiner Schar, sich weltlich zu engagieren. Wie auch immer: Kaum hatte er die Jugend, ging er daran, die Erwachsenen zu erwecken. Auf der Wiese beim Schlafapfelbaum unweit vom katholischen Kirchlein liess er ein Zelt aufbauen, das mit seinen zweitausend Plätzen mehr als halb Eglisau fasste, und holte den Deutschen Wilhelm Pahls – ein ?Maschinengewehr Gottes? –, der tag für Tag predigte und zu Busse und Umkehr aufrief. Es war die erste von drei Evangelisationswochen im Ort. Eine Anwohnerin, Ursula Friedlin, erinnerte das rhetorische Feuerwerk an die Reden Hitlers. Sie, eine gläubige Frau, sollte später zu den Ersten der liberalen Opposition gehören, die in den Undergrund gingen und eine Gegenkirche gründeten.

.